Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.
(Psalm 23, 4)
Licht im Dunkel. Das Thema der neuen Ausgabe von Westwind gefällt mir gut, gibt Hoffnung. Und eine Sache, nach der wir uns alle sehnen. In Zeiten tief empfundener Dunkelheit strahlt Gottes Licht in unser Leben. Es gibt uns Hoffnung und leuchtet uns den Weg. Ich habe aber meine Zweifel, ob diese Vorstellung der Realität entspricht.
Ein anderes Bild: Spuren im Sand. Kennen Sie diesen tröstenden Traum? Der Weg eines Menschen mit Gott sieht aus wie die Spuren im Sand. Zwei Fußabdrücke, die beständig nebeneinander laufen. An den schwierigen Lebensstellen ist jedoch nur eine Spur zu sehen und der Träumer fragt Gott: „Warum hast du mich allein gelassen, als ich dich am meisten brauchte?“ Und Gott antwortet ihm: „Dort, wo du nur eine Spur gesehen hast, da habe ich dich getragen.“ Es ist so tröstend. Es geht so glatt runter. Und ich befürchte, es ist frommer Kitsch. Ein Wunschraum.
Als Kind ging ich in den CVJM. Wir machten Spiele, hörten in den Andachten von Gott und sangen Lieder über den Glauben. Eines davon hieß: Lass mich an dich glauben, wie Abraham es tat. Es ging dort um Glaubenshelden der Bibel: Um Abraham, dessen Glaube so groß war, dass er seinen einzigen Sohn geopfert hätte, wenn Gott nicht eingegriffen und ihn davor bewahrt hätte. Es ging um Simeon, der bis ins hohe Alter wartete, um den Messias als Baby in den Händen zu halten. Und wir sangen von Daniel. Sein König ließ ihn in eine Löwengrube werfen und Gott bewahrte ihn. In all diesen Strophen geht die Sache gut aus. Gott lässt die Seinen nicht im Stich. Doch eine Strophe bereitete mir Kopfzerbrechen. Sie handelte von Stephanus, dem ersten Märtyrer der jungen christlichen Gemeinde. Es heißt dort: „Lass mich an dich glauben, wie Stephanus es tat, was kann dem geschehen, der solchen Glauben hat? Sie steinigten zu Tode ihn, er betete für sie, und Gott erhörte ihn.“
Für mich hörten sich diese Zeilen irgendwie falsch an. In allen anderen Strophen greift Gott ein und wendet die Sache. Aber bei Stephanus nicht. Er wird nicht bewahrt. Unter einem Hagel Steine lässt er sein Leben. Gut, er kann in den Himmel sehen und sieht im Todeskampf Gottes Herrlichkeit. Aber genügt hat mir das nicht. Das war mir zu wenig. Ich hätte von Gott erwartet, dass Stephanus im letzten Moment aus der Nummer herauskommt. Gott macht irgendetwas, die Leute lassen die Steine fallen und gehen einfach nach Hause. Aber hier? Stephanus stirbt und ich habe mich als kleiner Junge gefragt, was das soll. Warum greift Gott nicht ein und was an der Geschichte soll so vorbildhaft sein, dass man darüber ein Lied schreibt?
Heute, über 40 Jahre später, scheint mir das alles ein Ergebnis unrealistischer Erwartungen zu sein. Meine Erfahrung: Gott paukt uns nicht aus allen unseren Nöten heraus. Es strahlt nicht immer ein Licht in die Dunkelheit, und wir werden in den schwierigen Zeiten nicht immer getragen. Die Geschichten unseres Lebens können dummerweise vor die Wand fahren.
Das kann einen echt in Bredouille bringen. In einer schlimmen Situation war ich einmal schwer von Gott enttäuscht. Ich dachte mir: Warum hilft er mir nicht? Es hätte ihn doch nichts gekostet. Es wäre so einfach gewesen. Zu Hause habe ich ein Buch mit dem dazu passenden Titel: „Wenn Gott kein Licht ins Dunkel bringt“.
Ich glaube, wir müssen uns im Klaren sein, dass schwierige Lebensstrecken auf uns warten. Dinge, die uns überfordern und uns verzweifeln lassen. Der Schreiber des 23. Psalms formuliert es so: Und ob ich schon wandere im finsteren Tal.
Viele haben diese dunklen Täler im Leben bereits kennengelernt. Das ist kein Zuckerschlecken und sie haben wenig mit einer lustigen Nachtwanderung zu tun. Es geht um wirklich dunkle Wegstrecken. Ohne Licht, wir werden auch nicht getragen und nicht daran vorbeigeführt.
Und wie sieht Gottes Hilfe in diesen Zeiten häufig aus? Wieder schreibt der Psalmist nichts von einem wundersamen Eingreifen Gottes: „Dein Stecken und Stab trösten mich.“ Es gibt Halt bei Gott. Und im Vertrauen auf ihn können wir uns dann wieder selbst aufrichten.
Ich las neulich einen Artikel. Dort beschrieb jemand, wie alles schieflief und die Katastrophe ins Leben kam. Es gab die Enttäuschung, dass Gott nicht eingegriffen hatte, obwohl es ihm möglich gewesen wäre. Und dann berichtet die Autorin von einem Gedanken: „Jetzt erst recht!“ Jetzt erst recht an Gott glauben und auf ihn meine Hoffnung setzen. Jetzt erst recht an ihm festhalten. Das ist realistischer Glaube. Jenseits von frommem Kitsch.
Jörn Bohn
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