Auf dem Weg in die Passionszeit

Die Weihnachtszeit liegt hinter uns und wir sind nun unterwegs in die Passionszeit. Diese Zwischenphase wird als Vorfastenzeit oder auch Vorpassionszeit bezeichnet. Es ist einerseits die Zeit von Karneval und Fasching. Dieser jahrhundertealte Brauch entstammt dem Bedürfnis, vor dem Fasten nochmal so richtig ausgelassen zu feiern und gut zu essen. Die Vorfastenzeit könnte andererseits aber auch einen ganz spirituellen und besinnlichen Charakter haben. Sie kann den Übergang von der festlichen Epiphaniaszeit in die Fastenzeit sanft abfangen. Vielleicht wird sie so ein Weg von außen nach innen. Der Lobpreis wird in dieser Zeit stiller, das „Halleluja“ verstummt im Gottesdienst. Es gibt Gelegenheit, sich innerlich einzustimmen auf die nun kommende Passionszeit, sich möglicherweise ein Fastenvorhaben zu überlegen und den Blick auf Ostern, auf die Auferstehung zu richten. Vielleicht kann das mit passenden Liedern und Musikstücken gelingen, von denen an dieser Stelle ein paar vorgestellt werden. So kann diese Zeit ein sachtes Übergleiten in die mit dem Aschermittwoch beginnende Fastenzeit sein.

Der Schriftsteller und Theologe Jochen Klepper schrieb 1938 das Gedicht „Er weckt mich alle Morgen“. In der Vertonung des evangelischen Pfarrers und Kirchenliedkomponisten Rudolf Zöbeley ist es im Evangelischen Gesangbuch unter der Nr. 452 abgedruckt. Jochen Klepper kann wohl als einer der bedeutendsten evangelischen Kirchenlieddichter bezeichnet werden. Neben seinen Tagebüchern ist der Gedichtband „Kyrie“, worin auch das Morgenlied enthalten ist, Kleppers berühmteste Veröffentlichung. Als 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kamen, geriet seine Familie mehr und mehr unter Druck. Als seiner jüdischen Frau und ihrer jüngsten Tochter die Deportation drohte, nahm sich die Familie im Dezember 1942 das Leben. Geblieben sind uns Kleppers einfühlsame und tief gläubige Texte, die vielfach vertont und interpretiert wurden. Der Text des Liedes „Er weckt mich alle Morgen“ sowie Wissenswertes rundherum, wie etwa ein Tagebucheintrag Kleppers zu seinem Gedicht, kann hier nachgelesen werden:
https://de.wikipedia.org/wiki/Er_weckt_mich_alle_Morgen

In dieser Aufnahme singt „Das Solistenensemble“ unter der Leitung von Gerhard Schnitter:
https://youtu.be/LTbAiW4gyhI

Von großer Einfachheit und Klarheit ist das folgende Lied „Gott hat das erste Wort“. Es stammt ursprünglich aus den Niederlanden und hatte dort in den Fünfzigerjahren als eines der ersten neuen Kirchenlieder große ökumenische Ausstrahlung. Vom Textautor Jan Wit ursprünglich als Neujahrslied geschrieben, ist es jedoch wesentlich vielseitiger verwendbar. In den Strophenanfängen heißt es, Gott hat das „erste“ und „letzte“ Wort. Das Lied nimmt hier Bezug auf die Offenbarung: „Ich bin das A und O.“ In der Übertragung des schweizer Theologen und Hymnologen Markus Jenny ist es im Ev. Gesangbuch unter der Nr. 199 zu finden. Die urtümliche wie starke Melodie stammt von dem niederländischen Komponisten Gerhard Kremer. Der Text des Liedes findet sich hier:
https://lyricstranslate.com/de/die-mundorgel-gott-hat-das-erste-wort-lyrics.html

Unter folgendem Link hören wir eine Orgelaufnahme aus der evangelischen Stadtkirche Baden-Baden mit einem jazzigen Intro:
https://youtu.be/V3OmRidgCRY

Wir unternehmen nun einen großen Sprung zurück ins 17. Jahrhundert. Das von Heinrich Schütz 1661 vertonte „Wohl denen, die da wandeln“ steht ebenfalls im Ev. Gesangbuch (Nr. 295). Dort ist der gern gesungene vierstimmige Chorsatz abgedruckt. Der Text geht zurück auf eine Nachdichtung des 119. Psalms von Cornelius Becker aus dem Jahr 1602. Wie der Psalm 119 selbst, ist auch Beckers Liedfassung eine Seligpreisung. „Wohl denen“ meint, wer Gott in seinem Dasein gegenwärtig sein lässt, ist auf dem Weg zur Fülle des Lebens. Das „Wort“ Gottes soll dabei Raum schaffen, weit über seine Buchstaben hinaus. Hier findet sich der Text des Liedes:
www.evangeliums.net/lieder/lied_wohl_denen_die_da_wandeln

In der folgenden Aufnahme singt der Rundfunkchor Berlin, die Leitung hat Simon Halsey:
www.youtu.be/uxm1hjNFMIs

Johann Sebastian Bach schrieb für den Sonntag vor Aschermittwoch die Kantate „Sehet, wir gehn hinauf gen Jerusalem“ (BWV 159). Es geht darin um den Weg zur Passion. Der erste Satz ist ein Dialog zwischen Jesus (Bass) und der Seele (Alt). Bach erzielt hier eine Kontrastwirkung: Die Worte Jesu werden als Arioso dargeboten, das nur vom Continuo begleitet wird, die Antworten der Seele hingegen als Recitativo, begleitet von Streichern. Im zweiten Satz ergänzt der Komponist die ausdrucksvolle Linie der Altstimme „Ich folge dir nach“ mit der Choralstrophe „Ich will hier bei dir stehen“. Es ist die 6. Strophe aus Paul Gerhardts „O Haupt voll Blut und Wunden“. Der vierte Satz bildet den Höhepunkt der Kantate und nimmt mit „Es ist vollbracht“ eins der sieben letzten Worte Jesu am Kreuz vorweg. In der folgenden Aufnahme dieser Bachkantate musizieren das Orchester der J.S. Bachsstiftung St. Gallen/Schweiz sowie Gesangssolisten unter der Leitung von Rudolf Lutz:
www.youtu.be/OCJidUl_UXM

 

Viele Grüße

Kantor Gerd Heubaum

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